Foto: Vogelsberger Zeitung

Über 500 Bürger bei Kundgebung in Schlitz

„Nie wieder ist jetzt!“ – Bündnis „Wir sind mehr! Schlitzerland“ hatte dazu aufgerufen

SCHLITZ
In Schlitz versammelten sich am Donnerstagabend über 500 Teilnehmer zu einer Kundgebung um Farbe für ein vielfältiges und buntes Schlitzerland zu bekennen. Unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ appellierten die Menschen im Schlitzer Schlosspark daran, die Werte der Demokratie zu verteidigen gegen Populismus, Antisemitismus und Hass.

Das Moderationsteam Annabell und Norbert begrüßten die Menschen vor Ort und erläuterten den Aufruf „Nie wieder ist jetzt!“. Der Satz solle daran erinnern, dass die Bevölkerung jetzt aktiv werden müsse, um Gräueltaten wie im Nationalsozialismus zu verhindern. Hinter dieser Erklärung müssten alle demokratischen Kräfte in Deutschland stehen.

Bürgermeister Heiko Siemon erklärte: „Das ist wirklich ein großartiger Anblick von hier oben. Ein ganz großartiges Zeichen, das wir heute hier im Schlosspark in Schlitz stehen. Ein breiter Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik. Allein die Tatsache, dass dieses Treffen zu diesem Anlass mit einer solchen Anzahl von Bürgerinnen und Bürger stattfindet, Ausdruck genug, um deutlich zu machen, worum es heute geht. Wir sind mehr. Wir sind die Mehrheit in diesem Land.“

Bürgermeister Siemon bedankte sich bei den Organisatoren, welche die Veranstaltung auf die Beine gestellt hätten. „Ich bedanke mich auch, dass ich heute Abend hier reden darf. Dies tue ich sehr gerne und auch ebenfalls im Namen unseres Stadtverordneten Vorstehers Jürgen Diggert, der hier oben neben mir steht“, so Siemon.

In den Nachrichten in den vergangenen Monaten habe Siemon beobachtet, dass menschenfeindliche Gesinnungen salonfähiger würden. Dagegen müsse die Gesellschaft mit Aufklärung vorgehen, speziell bei den Kindern und Jugendlichen. Er verwies auf den anstehenden 75. Geburtstag des Grundgesetzes, welches am 23. Mai 1949 in Kraft trat. Der erste Artikel verweise auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde: „Dieser Satz ist die Lehre aus Nazi-Diktatur und Holocaust. Dieser Satz ist das Fundament auf dem unsere freiheitliche Demokratie steht. Dieser Satz war über Jahrzehnte Grundkonsens.“ Seit einigen Jahren gebe es Kräfte, die sich dagegen richten würden und Unterschiede von verschiedenen Gruppen an Menschen machen würden. „Kräfte, die Unterschiede machen zwischen Behinderten und nichtbehinderten Kindern. Kräfte, die Unterschiede machen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Kräfte, die Menschen aus unserem Land deputieren wollen. Die, die unser Land zurückführen wollen in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Kräfte, die heute leider in den meisten Parlamenten sitzen, auch in unserem Bundestag. „Auch wenn die Feinde der Demokratie gewählt worden sind, sind sie noch lange keine Demokraten“, machte der Bürgermeister deutlich und erntete dafür Applaus.

Siemon fragte sich, woher die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gegenüber der Politik komme. „Wir leben in einer Zeit von vielfältigen Herausforderungen“, merkte er an. Die Menschen hätten sich an eine Art Dauerkrise gewöhnt, viele seien verunsichert. Das führe zu einem Vertrauensverlust in die demokratischen Prozesse. Der Bürgermeister forderte dazu auf, sich dem entgegenzustellen und das Vertrauen zurückzuholen. „Die schweigende Mitte war zu lange ruhig. Diese Mehrheit muss lauter werden“, meinte er. Populistische Parteien würden durch fehlende Lösungen auf Probleme profitieren. Er verwies ebenso auf die Gastfreundlichkeit der Schlitzer Bevölkerung: „Wir können stolz behaupten, dass wir im Schlitzerland für die Vielfalt, für Verständigung und für den internationalen Zusammenhalt stehen.“

Zum Abschluss appellierte Siemon: „Lassen sie uns erst gar nicht mit dem Feuer spielen. Engagieren sie sich. Wir müssen öffentlich Haltung zeigen. Zusammen und vereint für eine gemeinsame Zukunft. Wir sind mehr.“

„Manchmal braucht es einen bestimmten Moment, bis wir Dinge klar sehen und etwas verändern“, begann Pfarrer Gerrit Boomgaarden seine Rede. Dies würde jeder aus seinem eigenen Leben kennen. So käme irgendwann der Punkt, wo man merkt, dass es so nicht weitergeht. „Als das Potsdam-Treffen aus dem letzten November öffentlich wurde, merkten Menschen auf einmal, was auf dem Spiel steht. Sie merken, was sie haben, was ihnen wichtig ist und was ihnen wert ist. Nämlich unser Land, mit seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung und der darin verbrieften Würde eines jeden Menschen. Dafür müssen wir uns jetzt einsetzen und dafür stehen wir ein“, so Boomgaarden. Er stellte auch die Frage, warum man erst jetzt zusammen käme. „Ich meine, wo waren wir als die NSU-Morde und der Anschlag von Hanau stattfanden? Wo waren wir als der Anschlag von Halle stattfand und es im letzten Oktober die Solidaritätsbekundung für den Hamas-Angriff auf Israel gab? Wo waren wir bei der Kundgebung anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November letzten Jahres auf unseren Marktplatz? Wo waren wir da? Warum sind da nur so wenig gekommen? Wie viel Gleichgültigkeit, Trägheit oder gar auch Antisemitismus steckt vielleicht auch in unseren Köpfen und Herzen drin? Wo sind wir? Wenn islamistische Anschläge in unserem Land verübt werden oder auf der Straße die Errichtung eines Kalifats in Deutschland gefordert wird, so wie in NRW. Haben wir Angst?“ So meinte er auch, besser spät als nie. So sei auch die Frage erlaubt, warum sind wir nicht schon längst aufgestanden sind? „Warum hieß es nicht schon längst “nie wieder ist jetzt“?“

So sprach Pfarrer Boomgaarden davon, dass wir auch den Nächsten achten sollen, wenn er auch anders denkt als man selbst. „Lasst uns ihn respektieren, weil wir alle Gottes geliebte Kinder sind. Dazu gehören auch die Fremden und Geflüchteten. Menschen zweiter Klasse gibt es laut Bibel nicht.“

Pfarrer Boomgaarden mahnte auch davor, dass wir aufstehen, aber bitte stehen bleiben sollen. „Wenn das heute hier eine einmalige Veranstaltung ist, nachdem wir uns anschließend alle auf die Schultern klopfen und sagen, wie toll es doch war und wie gut, dass es ja auch gab und uns dann zu Hause wieder bequem zurücklehnen, dann reicht es nicht. Es muss weitergehen.“

Das Bündnis „Wir sind mehr! Schlitzerland“ hatte dazu aufgerufen, ein gemeinsames Zeichen für die Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung zu setzen. Zahlreiche Institutionen, Vereine, Firmen und Privatpersonen haben die Chance genutzt, das Vorhaben des Bündnisses zu unterstützen. Vor der Kundgebung fand zuvor in der evangelischen Stadtkirche ein Friedensgebet statt.

Eine Fotogalerie folgt.

Die Vogelsberger Zeitung hat nun auch einen WhatsApp-Kanal.
Hier klicken, um kostenlos den Kanal der Vogelsberger-Zeitung zu abonnieren.

Teilen auf X (vormals Twitter) » Diesen Artikel auf X (vormals Twitter) teilen «

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.